Carl Bellingrodt

Carl Bellingrodt war sicherlich der bekannteste Protagonist des Deutschen Lokomotivbild-Archivs. Ihm war es vergönnt, seine wertvollen Negative aus der Vorkriegszeit über das Jahr 1945 zu retten. Auch nach 1945 führte er als einziger DLA-Fotograf seine fotografische Tätigkeit in diesem Metier auf hohem Niveau fort. Zur Vertiefung des Interesses an diesem Fotografen und Menschen sei auf die üppige Literatur verwiesen.

Am 4.4.1938 besuchte Carl Bellingrodt entweder auf einem kurzen Zweitagesausflug oder auf der Rückreise aus Hamburg die „Vorwohle-Emmertaler Eisenbahn-Gesellschaft“. Betriebsführer und Mehrheitseigner dieser privaten Nebenbahn war die „Deutsche Eisenbahn Betriebs-Gesellschaft“ (DEBG). Die Bahnstrecke ist im Weserbergland nahe Hameln zu verorten, verband zwei wichtige Bahnstrecken der Deutschen Reichsbahn und stellte damit den verkehrlichen Anschluß der ländlichen Umgebung dar. Der Betriebsmittelpunkt und das Bahnbetriebswerk war in Bodenwerder-Linse, von wo aus auch eine Stichbahn zum Weserhafen vorhanden war.

In Bodenwerder-Linse fertigte Carl Bellingrodt eine Serie dokumentarischer Lokomotivaufnahmen an. Zu dieser Serie gehören drei Aufnahmen der Lok 5, von denen hier eine zu sehen ist. Es ist vermutlich der Lokomotivführer, der die Lok für das Foto „zurechtgefahren“ hat und nun von der Heizerseite aus den Fotografen anschaut. Die lokomotivtechnisch Interessierten werden sicherlich sofort die Besonderheit dieser Maschine erkennen, denn sie wurde 1933 auf eine „Ventilsteuerung“ umgebaut. Es ist auch rückblickend erstaunlich, dass die relativ kleinen Lokomotiven die nicht unerheblichen Verkehre auf der Steigungsstrecke zwischen Bodenwerder und Vorwohle bewältigt haben.

Die Diesellokomotive der Reihe V200 wurde viele Tausendmal von Hunderten von Fotografen festgehalten – hier soll es also nicht um die Darstellung des technischen Apparates „Lokomotive“ gehen. In diesem bislang unveröffentlichten Foto von Carl Bellingrodt ist vielmehr die fotografische Handschrift des Meisters erkennbar: Der Blick in die Landschaft und darin dann auch der Zug, wie er sich in diesem Umfeld bewegt.
Der Fernschnellzug F22 mit Ziel München kommt hier etwas südlich der Ortschaft Namedy am Rhein am 28.4.1959 um etwa 11:00 Uhr einem zeittypischen Lastwagenzug entgegen – am gegenüber liegenden Rheinufer Leutesdorf. Der Rhein führt niedriges Wasser, über die links im Bild zu sehende Rheinaue führt heute die hochgeführte Bundesstrasse 9.

Auch dieses Foto hat es noch nicht in die Fachpresse geschafft, doch das frühe Bild von Carl Bellingrodt hat knapp 100 Jahre hinter sich und ist schon deshalb eine Rarität. Auch für Diejenigen, die es eventuell schon einmal gesehen haben, soll dieses Bild hier in ordentlicher Qualität zu Ehren des Fotografen gezeigt werden.
Man kann bei der Betrachtung des Fotos erkennen, in welchen technischen Nöten der Fotograf war: Seine Nettel-Kamera mit 18cm-Tessar-Objektiv konnte durch die beengte Raumsituation an den beiden Blocksignalen im steilen Einschnitt nicht „Alles“ auf die Platte bekommen und so schneiden die Bildränder das Fotomotiv rigoros ab. Es ist überhaupt keine Selbstverständlichkeit, mit dem wenigen Licht im tiefen Einschnitt und den vergleichsweise lichtunempfindlichen Glasplatten ein gestochen scharfes Foto von einem fahrenden Zug zu machen. Hier sehen wir die S10-Lokomotive „Münster1023“ oder „Münster1026“ mit dem Schnellzug D93 von Köln nach Hamburg Altona im Jahr 1926 an der Blockstelle Martfeld zwischen Wuppertal und Hagen.

Eine bislang unveröffentlichte und prächtige Fotografie des Schnellzugs D134 hat Carl Bellingrodt als eines der ersten Bilder seines großen Archivs etwa um 1926 in Bingerbrück am Rhein angefertigt. Bereits zu diesem Zeitpunkt ist seine fotografische Handschrift deutlich erkennbar, denn es geht nicht nur um die Abbildung einer Lokomotive sondern auch um das betriebliche oder landschaftliche Umfeld. In diesem Falle dürfen wir auch einen schönen Blick in das ehemalige Betriebswerk Bingerbrück mit Lokschuppen, Drehscheibe, Wagenwerk, Schlackenkanal, Kohlen- und Wasserversorgung werfen. Das Foto ist fast 100 Jahre alt und zeigt eine wohlorganisierte, gepflegte und funktionierende Eisenbahn.

Besonders auffällig und bildlich in den Vordergrund gerückt sind die Signale dieses Bahnhofs. Da eine umfassende Geschichte des Eisenbahn-Sicherungswesens im Zeitraum bis 1920, also der Frühgeschichte, fehlt, ist man auf Einzelquellen angewiesen. In dem Buch „Mechanische Sicherheits-Stellwerke“ von 1904 (S.Scheibner) werden die hier gezeigten Signale beschrieben. Es sind Mastsignale der Bauart „Max Jüdel & Co“ etwa aus den Jahren zwischen 1895 und 1900.

Der Zug befährt den Streckenast der Rhein-Nahe-Bahn nach Bad Kreuznach und damit die erste Eisenbahnstrecke, die Bingerbrück (damals noch Bingen) am 15.7.1858 erreichte. Durch die Bahnanschlüsse nach Mainz (Hessische Ludwigsbahn) am 17.10.1859 und nach Koblenz (Rheinische Eisenbahn) am 22.12.1859 sowie durch den später erfolgten betrieblichen Ausbau erlangte dieser Bahnhof im Streckennetz große Bedeutung. Die Rheinische Eisenbahn ging am 1.1.1880 und die Rhein-Nahe-Bahn am 1.7.1883 in die Königlich Preussische Staatsbahn über. Die Hessische Ludwigsbahn ging am 21.6.1896 in die gemeinsame Preussisch-Hessische Eisenbahngesellschaft ein.